Meldungen [HC]²

 

Montag, 09.11.2020 11:48 - Alter: 3 Jahre

Neuer Beitrag: Corona und die Wissenschaft

Corona und die Wissenschaft: Framing gegen die Pandemie-Müdigkeit: Empfehlungen aus der strategischen Gesundheitskommunikation

Christoph Klimmt, Eva Baumann & Magdalena Rosset

Die neuen Beschränkungen, die Bund und Länder zur Eindämmung des Corona-Infektionsgeschehens verkündet haben, treffen auf eine Bevölkerung, die seit mehr als einem halben Jahr durch die Auswirkungen der Pandemie belastet ist. Die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an der Bekämpfung der Pandemie war und ist nach wie vor groß. Doch je länger die Krise dauert, desto weniger Bewältigungsressourcen – psychische, soziale, ökonomische – stehen den Menschen im Durchschnitt zur Verfügung. In vielen Unternehmen, Organisationen und Vereinen hinterlässt der eingeschränkte Betrieb mit den reduzierten sozialen Begegnungen bereits drastische Spuren. So ist es gut erklärbar, dass sich nach der Verkündung des neuen ‚Lockdown Light‘ sehr viel mehr kritische Stimmen öffentlich äußern als im Frühjahr.

Um einen konstruktiven Umgang mit der Situation zu fördern, sind Regierungen, Behörden und Organisationsspitzen, aber auch einzelne Bürgerinnen und Bürger gefordert, einen kommunikationsstrategisch klugen Umgang mit Unmut und Ablehnung der neuen Infektionsschutzmaßnahmen zu finden. Die Kommunikationswissenschaft, insbesondere das Feld der strategischen Gesundheitskommunikation, befasst sich intensiv mit der Frage, wie unangenehme (etwa freiheitseinschränkende) Maßnahmen so vermittelt werden können, dass sie Verständnis und die Unterstützung der Betroffenen erhöhen. Die Vermeidung von Reaktanz – einer Widerstandshaltung gegen empfundene Einschränkungen der eigenen Wahl- und Handlungsfreiheit – ist dabei aus Sicht der strategischen Kommunikation eines der zentralen Ziele.

Bei der Vermittlung unerfreulicher, aber als notwendig erachteter Maßnahmen stehen den politischen und behördlichen Verantwortungsträgerinnen und -trägern verschiedene Strategien zur Verfügung. Mit dem Begriff „Framing“ (der „Rahmung“ einer Botschaft) wird beschrieben, welche Sicht auf ein Problem, welche Ursachenzuschreibungen, Bewertungen und vor allem Lösungsperspektiven in der Kommunikation betont und welche hintenangestellt werden. Framing kann strategisch genutzt werden, um eine spezifische Interpretation eines Themas nahezulegen, das eigene Handeln zu legitimieren und eine bestimmte Position im Wettstreit mit den Frames anderer Akteure durchzusetzen. Bestimmte Botschaftsstrategien erhöhen die Chance, in der Bevölkerung die Reaktanz effektiver zu begrenzen als andere Botschaftsstrategien. Ein gezieltes Framing kann damit der Schlüssel zur wirksamen, überzeugenden und motivierenden Ansprache und Mobilisierung unterschiedlicher Bevölkerungssegmente sein.

Im aktuellen Fall wäre den Regierungen und Behörden des Bundes und der Länder zu raten, ihre Kommunikationsstrategie in mehreren Punkten zu überdenken.

1. Die Darstellung der Ursachen der gegenwärtigen Lage, aus der heraus die neuen Maßnahmen erforderlich werden, sollte die implizite, vor allem aber die explizite Verantwortungszuschreibung auf das unvernünftige Verhalten der Bürgerinnen und Bürger unterlassen. Denn ein Großteil der Bevölkerung hat die (in den meisten Fällen) berechtigte Wahrnehmung, bereits seit langer Zeit ein hohes Maß an Mitwirkung und Verantwortungsbewusstsein zu praktizieren. Die implizite Botschaft „Euer Verhalten ist unzureichend“ kann in diesem Kontext zu Verärgerung und Reaktanz führen. Stattdessen wäre die Ursachenzuschreibung auf die Aggressivität und Hartnäckigkeit des Virus zu fokussieren; dies wäre der Situation angemessen und hätte das Potenzial, statt Reaktanz die Bereitschaft zum Eigenschutz und zum Schutz anderer Menschen zu befördern.

2. Bei einem solchen Risikoappell ist es jedoch wichtig, keine furchtinduzierende Form der Darstellung zu wählen, da diese im Falle einer ‚Panikmache“ ebenfalls einen Impuls zur Reaktanz – in diesem Fall eher ein Wegsehen aus Furcht und Verunsicherung – evozieren kann. Entsprechend sollte die Kommunikation – bei allem gebotenen Verweis auf die Ernsthaftigkeit der Lage – möglichst wenig dramatisierend und emotionalisierend sein und vor allem die Risikobotschaft mit einem Hinweis auf Selbst- und Handlungswirksamkeit versehen, d.h. mit dem Verweis auf die Möglichkeit, dass jede und jeder selbst effektiv etwas tun kann.

3. Die Verkündung von neuen Beschränkungen des öffentlichen Lebens sollte (noch deutlicher) gekoppelt werden mit Aussagen zur Wertschätzung der bisherigen Anstrengungen der Bevölkerung, von Unternehmen und Organisationen. Viele kritische Stimmen beziehen sich derzeit darauf, dass in vielen Bereichen bereits erhebliche Aufwände betrieben, Lasten geschultert, Opfer gebracht worden sind. Diesen Umstand explizit anzuerkennen und dafür Respekt und Lob zu kommunizieren würde die Chance öffnen, die aufgezeigte Lösungsperspektive als „Aufsetzen auf das bereits Erreichte“ zu rahmen und nicht als leider notwendige radikale Umkehr angesichts des Scheiterns der bisherigen Bemühungen. Auf diese Weise würde man den Menschen mehr Kontinuität in ihrer eigenen und der politischen Handlungswirksamkeit vor Augen führen und vor allem ihre bisherigen Anstrengungen als wichtige und wirksame Vorleistung (anstelle als ungenügende Mitwirkung, siehe Punkt 1) würdigen. Die Botschaft „Bis hierher sind wir schon gekommen, jetzt brauchen wir (leider) noch mehr davon“ könnte als eine positive Unterstützung wirken und geeignet sein, Reaktanz zu reduzieren, die aus den schon bisher erlebten Einschränkungen und Selbstbeschränkungen gespeist wird.

4. Die Verkündung neuer Einschränkungen sollte unmittelbar in Verbindung mit Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen kommuniziert werden. Zuerst die „bittere Pille“ zu verabreichen und Unterstützungsmaßnahmen für Betriebe und andere Betroffene erst im Nachgang zu konkretisieren, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Zumutungen und Widernisse. Ein Framing der Maßnahmen als Gesamtstrategie, die sehr wohl auch Unterstützung (z. B. Entschädigungszahlungen, aber auch Handlungsempfehlungen für die Zeit der häuslichen Selbstisolation) umfasst, wäre geeigneter, um die Wahrnehmung der Bevölkerung und der verschiedenen Anspruchsgruppen auf Aspekte der Bewältigungsfähigkeit (durch Unterstützung) zu lenken und damit die „Bitterkeit“ der verabreichten „Pille“ zu mildern.

5. Die Maßnahmen sollten keinesfalls als „Verordnung von oben“ gerahmt werden, die eine Trennung zwischen den „Befehlenden“ und den anderen als „Befehlsempfängerinnen und -empfängern“ implizieren. Stattdessen sollte das Maßnahmenpaket als gemeinsames Projekt aller Bürgerinnen und Bürger, Organisationen und staatlichen Stellen ausgezeichnet werden. Die Rahmung als kooperatives, solidarisches Vorhaben würde einer weiteren möglichen Quelle von Reaktanz, nämlich der Erfahrung, dass „über den eigenen Kopf hinweg“ entschieden wird, entgegenwirken. Den Eindruck eines solchen Top-Down-Entscheidens können und sollten die Bundes- und Landesregierungen durch aktive und sichtbare Beteiligung von Parlamenten und von gesellschaftlichen Gruppen (durch Dialogformate) vermeiden und relevante Akteure mobilisieren, die ihrerseits als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren fungieren. Das Bemühen um das „Mitnehmen“ der Bevölkerung und der verschiedenen Betroffenengruppen sollte kommunikativ viel stärker zum Vorschein treten als das reine „Verordnen“ unter Anwendung politischer, aus dem Infektionsschutzgesetz abgeleiteter Sonderrechte. Eine derartige Rahmung könnte zudem einen Gegenpol bieten zur Deutung des Themas durch einige Gruppierungen, die sich den Maßnahmen verweigern und versuchen, durch gegensätzliches, im Sinne des Infektionsschutzes dysfunktionales Framing Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen.

6. Schließlich scheint es geboten, das eigentliche Problem, mit dem die Welt nach wie vor und derzeit wieder zunehmend Weise konfrontiert ist, in aller Sachlichkeit deutlicher zu kommunizieren: Es geht darum, das Leben vieler Menschen zu retten. Mit den täglichen Meldungen über „Fälle“, „Infizierte“ und „Tote“ scheint eine Gewöhnung bei Medien und Bevölkerung eingetreten zu sein, die das Problembewusstsein teilweise ermüden lässt. Dass die Maßnahmen darauf zielen und dass wir es alle gemeinsam in der Hand haben, wie viele weitere Menschen wegen Corona sterben, sollte daher als Teil des Framings der Maßnahmen deutlich unterstrichen werden: Die Maßnahmen sind ein Akt der Humanität, nämlich des Einstehens für mit dem Tod bedrohte Mitmensch.

Zuletzt bearbeitet: 20.09.2022

Zum Seitenanfang